Dienstag, 4. September 2012


Störaktion der Polizei im Bahnhofsviertel am 23.08.2012


Am Abend des 23.8.2012 sperrte die Polizei die Kreuzung von Taunus- und Elbestraße ab. Sie durchsuchte Bordelle, Spielhallen, Hotels und Sexshops und führte auch im Straßenraum knapp 500 verdachtsunabhängige Personenkontrollen und Durchsuchungen mitgeführter Sachen durch. In ihrer Pressemitteilung einen Tag nach der großangelegten „Kontrollaktion“ im Frankfurter Bahnhofsviertel spricht die Polizei davon, , dass „durch das besonnene und kommunikative Verhalten der Einsatzkräfte (...) die mehrstündige Maßnahme (...) ohne Störungen“ (http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/4970/2312435/pol-f-120824-1071-bahnhofsviertel-kontrollaktion-der-frankfurter-polizei) verlaufen sei. Uns kommt eine solche Stellungnahme geradezu zynisch vor. Wir – sowie etliche An- und Bewohner/innen, sowie Gewerbetreibende des Bahnhofsviertels – wurden nämlich empfindlich gestört: und zwar von der Polizei selbst unter dem Vorwand der Kontrolle. Hier ein subjektiver Eindruck.

Anwohnerbericht:
Nachdem ich bereits von meinem Mitbewohner erfahren hatte, dass er um ca. 22.15 Uhr von der Polizei daran gehindert wurde, unser Haus und unsere Wohnung zu betreten – „Hier kommt niemand durch, strikte Anweisung“ – wollte ich um kurz nach 23 Uhr durch die Elbestraße nach Hause gehen. Morgen musste ich schließlich wieder früh raus. Etliche Polizeiwagen standen bis fast zur Kaiserstraße. Kurz vor der Taunusstraße war ein Absperrband über die gesamte Straßenbreite gezogen. Vor dem Band standen einige Leute; unmittelbar dahinter ca. 10 Polizist/innen, die den Durchgang bewachten – viele weitere natürlich in der gesamten Sperrzone.
Ich dachte es verhält sich ungefähr so wie bei den Blockupy-Aktionstagen: Ich als Anwohner zeige meinen Ausweis mit meiner Meldeadresse und komme durch. An diesem Abend war es allerdings nicht so leicht. Ein großer älterer Mann kramte in seinem Geldbeutel nach einem Dokument, das ihn auswies. Ich hatte meinen Ausweis schon griffbereit und zeigte ihn einem Polizisten vor, der scheinbar für die Kontrolle zuständig war. Er nahm ihn an sich und wartete bis der Mann neben mir auch was vorzeigen konnte. Ich konnte sehen, dass er schon ein paar Ausweise in der Hand hatte und fragte in die Runde, die sich vor der Absperrung befand „Sind das jetzt alle Ausweise? Ich möchte jetzt hier nicht immer hin und herlaufen!“
Dann verschwand er für ca. 10min. Ein anderer Polizist hatte seinen Platz eingenommen. Immer wieder kamen Leute und wurden wieder weggeschickt. Ein paar Meter hinter mir sinkt ein Drogenkonsument ein. Ein Polizist zum anderen: „Da drüben, Crackie am Boden. Gehst Du oder Ich?“. Der Drogenkonsument wird wachgemacht und mit den Worten „Du kannst hier nicht bleiben.“ vertrieben.
Ein anderer Polizist berichtet seinen Kollegen, dass die Sperre, an der unter anderem ich stehe, ein paar Meter in Richtung Taunusstraße vorgezogen wird. Einer antwortet: „Ja, mir ist es egal, ob wir jetzt hier oder da vorne stehen.“ Ich sage: „Ja, uns hier ist es auch egal.“

Als mein Ausweis endlich zurückkam, durfte ich durch die Absperrung. Allerdings musste ich an einem Polizeiwagen meine Taschen ausleeren und alles auf die Straße legen. Dann wurde ich mit gespreizten Beinen und den Händen am Wagen abgetastet. Mittlerweile stand auch der große Mann von vorhin zwei Meter neben mir, auch an denselben Wagen gelehnt. Meine Sachen auf dem Boden wurden durchsucht, mein Geldbeutel mit der Taschenlampe durchleuchtet. Danach konnte ich alles wieder einpacken und wurde von zwei Polizisten zu meinem Haus begleitet. Ich fragte auf dem Weg dahin: „Warum das alles?“. Einer antwortete, dass er es auch nicht wisse – und irgendwie glaubte ich ihm, dass er keine Ahnung hatte.
Zur Haustür bringen war den Polizisten scheinbar nicht genug, denn die zwei liefen mit mir hoch in den vierten Stock bis unmittelbar vor meine Wohnungstür und verabschiedeten sich mit der Anweisung, dass ich heute die Wohnung nicht mehr verlassen solle.

Kommentar
Gestört hat das allemal – und sicher nicht nur mich. Höchst fraglich ist aber auch, ob diese als Kontrollaktion ausgegebene Störaktion im Dienste der „Verhütung, Erforschung und Verfolgung“ wirklich  „zur Steigerung des Sicherheitsgefühls im Bahnhofsgebiet“ (http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/4970/2312435/pol-f-120824-1071-bahnhofsviertel-kontrollaktion-der-frankfurter-polizei) beigetragen hat oder nicht vielmehr An- und Bewohner/innen, Besucher/innen und Gewerbetreibende eher verunsichert hat. Einerseits dadurch, dass der „Freund und Helfer“ plötzlich zum aggressiven Türsteher mutiert ist, der einem den Eintritt in das eigene Haus verwehrt (was kein Junkie oder Betrunkener je geschafft hat) und man sich auch noch abtasten lassen muss. Andererseits offenbart die Aktion auch die Hilflosigkeit der Polizei, ob der jüngsten Gewalttaten (evt. Verweis auf Zeitungsartikel FR). Die Durchsuchungen im Straßenraum schienen vor allem symbolischen Charakter zu haben. Denn bei so viel Blaulicht und Uniformen dürften alle Menschen, die ernsthafte Straftaten planen, sich längst aus dem Staub gemacht haben, während andere wegen Kleinstdelikten oder bloßer – verständlicher – Empörung über die Aktion, verhaftet wurden. Auch überzeugen die Ergebnisse der personell aufwändigen und störenden Razzia kaum. Festgestellt wurden bei den 500 Kontrollen acht Verstöße gegen das Waffengesetz, Aufenthaltsgesetz und Betäubungsmittelgesetz. Beim Waffenbesitz handelte es sich um CS-Gas, bei den Drogenfunden um ziemlich kleine Mengen und mindere Substanzen, wenn man bedenkt, was so alles hier konsumiert wird (siehe FAZ Artikel). Und Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz sind erstens für illegalisierte Migrant/innen nun mal nahezu nicht zu vermeiden und zweitens ein typisches „victimless crime“, von dem niemand individuell betroffen ist.

Nun kann man sich natürlich darüber empören, dass man als „unbescholtener Bürger“ von der Polizei behandelt wird wie ein/e Straftäter/in (und das auch noch von „unsern“ Steuergeldern), während die wirkliche gefährlichen Straftäter/innen weiter frei rumlaufen. Gewerbetreibende und Interessenverbände haben sich bereits dementsprechend geäußert und wie immer alles auf das Drogenmilieu geschoben. Die Drogenszene wird ja im Bahnhofsviertel gerne für allerlei verantwortlich gemacht, weil kaum zu erwarten ist, dass von dort mal jemand widersprechen wird. Wir möchten den Blick auf etwas anderes lenken. Jede/r verhält sich manchmal illegal (Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Falschparken, hier und da mal ein bisschen illegale Drogen, im Park grillen, sich selbst vor übergriffen oder Kriminalität schützen –wo die Polizei nicht zugegen ist – z.B. mit CS-Gas). Niemand will deshalb permanent und allzu genau von staatlichen Behörden durchleuchtet werden. Schon gar nicht im Bahnhofsviertel, wo Lebensqualität eben auch darin besteht, mal die Musik etwas lauter aufzudrehen zu können und nicht schon im zehn im Bett zu liegen, wenn die Polizei draußen das kriminelle „Gesindel“ abzuräumen meint. Ein notorisch voreingenommener Blick aufs Viertel und seine vermeintlich devianten Lebensweisen betrifft uns alle, weil wir – wie gesehen – allein durch das hier Wohnen oder sich hier Aufhalten als potentiell gefährlich wahrgenommen und behandelt werden. Im Bahnhofsviertel hat die Polizei nach § 18 HSOG besondere Eingriffsbefugnisse, die für alle Orte, mit z.B. erhöhtem Kriminalitätsaufkommen oder auch schlicht der (legalen oder illegalen) Ausübung der Prostitution gelten. Sie kann unabhängig von einem konkreten Verdacht, grundsätzlich, d.h. unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (doch diesen Begriff scheint die Frankfurter Polizei sehr weit zu fassen), jeden Menschen, der sich im Gebiet aufhält, einer Personenkontrolle und Durchsuchung unterziehen. An die Kontrollen können sich dann auch Platzverweise und Aufenthaltsverbote anschließen, zu deren Begründung es aus polizeilicher Sicht ausreicht, dass ein Mensch z.B. als Drogenkonsument oder Prostituierte im Sperrgebiet bereits polizeilich bekannt geworden ist. Betroffen sind also vor allem ohnehin gesellschaftlich marginalisierte Gruppen. Oft erfolgen verdachtsunabhängige Kontrollen in Deutschland nach Kritierien des racial profiling und betreffen somit insbesondere Migrant/innen (vgl. http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=tz&dig=2010%2F08%2F07%2Fa0028&cHash=ca42d078f9). Doch zugeleich stellt die rechtliche Befugnis und deren Nutzung durch die Frankfurter Polizei das gesamte Viertel unter Generalverdacht. Dieser Blick aufs Bahnhofsviertel als Milieu der Gefahr und Pathologie ist das Problem, nicht die ach so schlimmen Zustände. Wenn die Anwohner/inneninitiative der Aufrechten 84 „kriminelle Drogenmafia, Dealerei, Drogensucht, Beschaffungskriminalität, Hauseinbrüche, Prostitution, Obdachlosigkeit, und die Gefahr von übertragbaren Krankheiten“ (http://bahnhofsviertelfrankfurt.wordpress.com/) in einen Topf wirft, dann zeigt das nicht nur eine stereotype und undifferenzierte Wahrnehmung des Viertels, in dem sie leben, sondern kann auch als Drohung gelesen werden: heute noch „gegen die Junkies“, morgen dann gegen Prostituierte und Wohnungslose. Dieser Sichtweise und ihren Auswirkungen in Form einer kopflosen law and order Politik – also z.B. die polizeiliche Störaktion vom 23.08.2012 – werden wir weiterhin mit Skepsis und Protest begegnen.

Mittwoch, 1. August 2012

Nicht in unserem Namen

Nicht in unserem Namen!

kürzlich hat sich eine Initiative aus Anwohner_innen des Bahnhofsviertels gegründet, um in einem offenen Brief auf die ihrer Ansicht nach unerträglich gewordene Belastung durch die hiesige Drogenszene aufmerksam zu machen http://bahnhofsviertelfrankfurt.wordpress.com/. Ihr Vorstoß hat ein relativ großes Echo in der Presse und bei Offiziellen der Stadt gefunden. Uns – ebenfalls mitunter seit vielen Jahren Anwohner_innen des Bahnhofsviertels – hat das überrascht. Wir konnten nicht nachvollziehen, wieso aus der dichten Gemengelage an Problemen im Bahnhofsviertel ausgerechnet die Drogenszene herausgegriffen wird. Aber auch die Resonanz in der Öffentlichkeit machte uns nachdenklich. Wie kann es sein, dass plötzlich international renommierte „Frankfurter Modell“ der Drogenpolitik in Frage gestellt wird, ohne dass sich an der Faktenlage grundsätzlich etwas geändert hat? Als Anwohner_innen des Bahnhofsviertels sehen wir uns in der Verantwortung, unsere alternative, aber ganz und gar nicht marginale Sicht auf das Leben im Viertel gegen einen unserer Ansicht nach verkürzten und verkehrten Blick zu stellen.

Wir leben gerne im Bahnhofsviertel – aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Hintergründen. Gleichwohl birgt der Alltag hier im Viertel auch etliche Ärgernisse. Homophobe, sexistische und rassistische Anmache gehören für uns hier leider zum Alltag. Gerade der öffentliche Raum der Taunusstraße ist fest in Männerhand. Die bierselige Stimmung des ein oder anderen Junggesellenabschieds schlägt schnell in Aggression um, wenn irgendetwas oder irgendjemand nicht in das Schema der Herrengesellschaft passt. Waren die Mieten auf der Kaiserstraße schon seit eh und je astronomisch hoch, steigen Mieten nun auch auf der Münchener Straße in für viele bisherige Bewohner_innen unbezahlbare Dimensionen. Die momentan im Bau befindlichen Wohnkomplexe …. werden diese Situation wohl noch verschärfen. Im Vergleich zu diesen handfesten Problemen und Bedrohungen für das Zusammenleben im Viertel in sowohl ökonomischer als auch kultureller Hinsicht scheint die Drogenszene ein zu vernachlässigendes Problem darzustellen. Unser Alltag mit der Drogenszene gestaltet sich als zumeist problemloses nebeneinanderher leben. Reibungen, die eher durch Missverständnisse als durch bösen Willen entstehen, sind wir bereit in Kauf zu nehmen. Wir leben in einer global city in einer pulsierenden Nachbarschaft, die viele unterschiedliche Lebensstile beherbergt. Damit ein solches Zusammenleben weiter möglich bleibt, braucht es eine Kultur der Toleranz, die nicht nur akzeptiert, was ohnehin gewünscht wird – das „bunte“ vielfältige Leben des Bahnhofsviertels – sondern auch erträgt, was einem vielleicht nicht passen mag. Gewiss, Toleranz endet dort wo es wehtut, bedrohlich, beleidigend und gefährlich wird, aber eben nicht schon dort, wo es nur ein bisschen ungemütlich ist. Zu einer solchen Kultur der Toleranz würde unserer Meinung nach als allererstes gehören, zu akzeptieren, dass die Junkies genauso Bewohner_innen des Bahnhofsviertels sind, wie wir Anwohner_innen, die wir hier unseren „festen“ Wohnsitz haben. Ein Recht auf das Viertel erwirkt man sich nicht durch das Bezahlen von Miete oder den Erwerb von Eigentum, sondern durch die Nutzung des Viertels, durch dessen Bewohnung.
Es geht uns nicht darum, für die Drogenszene zu sprechen oder das Leben mit der Sucht zu glorifizieren. Wir wenden uns aber gegen eine aggressive Argumentationsstrategie, die alle Probleme des Bahnhofsviertels auf die Drogenszene reduziert, die mit den Junkies Menschen attackiert, die ohnehin marginalisiert sind, die auf keinen Fall widersprechen werden, weil ihre Stimmen (selbst wenn sie etwas sagen wollten) öffentlich nicht gehört werden.
Die „Anwohnerinitiative“ geht nicht von einer faktisch verschlimmerten Lage oder einer größeren Bedrohung durch Junkies aus. Die Vorfälle, welche im offenen Brief geschildert wurden, sind selbstverständlich für die Betroffenen gravierend, das will niemand in Abrede stellen. Dass solche Erfahrungen eine emotionale Reaktion auf die wahrgenommenen Probleme auslöst, ist  durchaus nachvollziehbar. Gleichwohl handelt es sich lediglich um episodische Erfahrungen. Diese wurden im Brief der Anwohnerinitiative in einem übermäßig aufgebrachten Ton vorgetragen, was in Gruselszenarien nach dem Motto „stell dir mal vor wenn…“ gipfelte. Politik kann sich aber nicht auf bloß anekdotische Evidenzen und Angstwahrnehmungen bei Entscheidungen stützen. Statistiken über die Wirksamkeit des „Frankfurter Modells“ sprechen hingegen eine klare Sprache. Nach unserer persönlichen Wahrnehmung ist die Präsenz von Drogenkonsument_innen auf der Straße in den letzten 10 Jahren ohnehin zurückgegangen.

Wir haben nicht so sehr Angst vor einer vermeintlich im Gange befindlichen Verschlimmerung der Gefährdung durch die Drogenszene, sondern vor einem Rückfall in Zeiten mit weit über 100 Drogentoten jährlich. Wir haben ferner Angst vor einer kopflosen „law and order“-Politik, die – wie die Ereignisse rund um die Blockupy-Aktionstage eindrucksvoll bewiesen haben – häufig die größte Beeinträchtigung für das öffentliche Leben in der Stadt darstellt. Wir glauben nicht, dass die „Anwohnerinitiative“ wirklich die Mehrheit der Bewohner_innen im Bahnhofsviertel repräsentiert. Deswegen formulieren wir diesen Brief mit der deutlichen Absage: IHR SPRECHT NICHT IN UNSEREM NAMEN!