Störaktion
der Polizei im Bahnhofsviertel am 23.08.2012
Am Abend des 23.8.2012 sperrte die Polizei die Kreuzung von
Taunus- und Elbestraße ab. Sie durchsuchte Bordelle, Spielhallen, Hotels und
Sexshops und führte auch im Straßenraum knapp 500 verdachtsunabhängige Personenkontrollen
und Durchsuchungen mitgeführter Sachen durch. In ihrer Pressemitteilung einen
Tag nach der großangelegten „Kontrollaktion“ im Frankfurter Bahnhofsviertel
spricht die Polizei davon, , dass „durch das besonnene und kommunikative
Verhalten der Einsatzkräfte (...) die mehrstündige Maßnahme (...) ohne
Störungen“ (http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/4970/2312435/pol-f-120824-1071-bahnhofsviertel-kontrollaktion-der-frankfurter-polizei)
verlaufen sei. Uns kommt eine solche Stellungnahme geradezu zynisch vor. Wir –
sowie etliche An- und Bewohner/innen, sowie Gewerbetreibende des
Bahnhofsviertels – wurden nämlich empfindlich gestört: und zwar von der Polizei
selbst unter dem Vorwand der Kontrolle. Hier ein subjektiver Eindruck.
Anwohnerbericht:
Nachdem ich bereits von meinem Mitbewohner erfahren hatte, dass er
um ca. 22.15 Uhr von der Polizei daran gehindert wurde, unser Haus und unsere
Wohnung zu betreten – „Hier kommt niemand durch, strikte Anweisung“ – wollte
ich um kurz nach 23 Uhr durch die Elbestraße nach Hause gehen. Morgen musste
ich schließlich wieder früh raus. Etliche Polizeiwagen standen bis fast zur
Kaiserstraße. Kurz vor der Taunusstraße war ein Absperrband über die gesamte Straßenbreite
gezogen. Vor dem Band standen einige Leute; unmittelbar dahinter ca. 10
Polizist/innen, die den Durchgang bewachten – viele weitere natürlich in der
gesamten Sperrzone.
Ich dachte es verhält sich ungefähr so wie bei den
Blockupy-Aktionstagen: Ich als Anwohner zeige meinen Ausweis mit meiner
Meldeadresse und komme durch. An diesem Abend war es allerdings nicht so
leicht. Ein großer älterer Mann kramte in seinem Geldbeutel nach einem
Dokument, das ihn auswies. Ich hatte meinen Ausweis schon griffbereit und
zeigte ihn einem Polizisten vor, der scheinbar für die Kontrolle zuständig war.
Er nahm ihn an sich und wartete bis der Mann neben mir auch was vorzeigen
konnte. Ich konnte sehen, dass er schon ein paar Ausweise in der Hand hatte und
fragte in die Runde, die sich vor der Absperrung befand „Sind das jetzt alle
Ausweise? Ich möchte jetzt hier nicht immer hin und herlaufen!“
Dann verschwand er für ca. 10min. Ein anderer Polizist hatte
seinen Platz eingenommen. Immer wieder kamen Leute und wurden wieder
weggeschickt. Ein paar Meter hinter mir sinkt ein Drogenkonsument ein. Ein
Polizist zum anderen: „Da drüben, Crackie am Boden. Gehst Du oder Ich?“. Der
Drogenkonsument wird wachgemacht und mit den Worten „Du kannst hier nicht
bleiben.“ vertrieben.
Ein anderer Polizist berichtet seinen Kollegen, dass die Sperre,
an der unter anderem ich stehe, ein paar Meter in Richtung Taunusstraße vorgezogen
wird. Einer antwortet: „Ja, mir ist es egal, ob wir jetzt hier oder da vorne
stehen.“ Ich sage: „Ja, uns hier ist es auch egal.“
Als mein Ausweis endlich zurückkam, durfte ich durch die
Absperrung. Allerdings musste ich an einem Polizeiwagen meine Taschen ausleeren
und alles auf die Straße legen. Dann wurde ich mit gespreizten Beinen und den
Händen am Wagen abgetastet. Mittlerweile stand auch der große Mann von vorhin
zwei Meter neben mir, auch an denselben Wagen gelehnt. Meine Sachen auf dem
Boden wurden durchsucht, mein Geldbeutel mit der Taschenlampe durchleuchtet.
Danach konnte ich alles wieder einpacken und wurde von zwei Polizisten zu
meinem Haus begleitet. Ich fragte auf dem Weg dahin: „Warum das alles?“. Einer
antwortete, dass er es auch nicht wisse – und irgendwie glaubte ich ihm, dass
er keine Ahnung hatte.
Zur Haustür bringen war den Polizisten scheinbar nicht genug, denn
die zwei liefen mit mir hoch in den vierten Stock bis unmittelbar vor meine
Wohnungstür und verabschiedeten sich mit der Anweisung, dass ich heute die
Wohnung nicht mehr verlassen solle.
Kommentar
Gestört hat das allemal – und sicher nicht nur mich. Höchst
fraglich ist aber auch, ob diese als Kontrollaktion ausgegebene Störaktion im
Dienste der „Verhütung, Erforschung und Verfolgung“ wirklich „zur Steigerung des Sicherheitsgefühls
im Bahnhofsgebiet“ (http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/4970/2312435/pol-f-120824-1071-bahnhofsviertel-kontrollaktion-der-frankfurter-polizei)
beigetragen hat oder nicht vielmehr An- und Bewohner/innen, Besucher/innen und
Gewerbetreibende eher verunsichert hat. Einerseits dadurch, dass der „Freund
und Helfer“ plötzlich zum aggressiven Türsteher mutiert ist, der einem den
Eintritt in das eigene Haus verwehrt (was kein Junkie oder Betrunkener je
geschafft hat) und man sich auch noch abtasten lassen muss. Andererseits offenbart
die Aktion auch die Hilflosigkeit der Polizei, ob der jüngsten Gewalttaten (evt.
Verweis auf Zeitungsartikel FR). Die Durchsuchungen im Straßenraum schienen vor
allem symbolischen Charakter zu haben. Denn bei so viel Blaulicht und Uniformen
dürften alle Menschen, die ernsthafte Straftaten planen, sich längst aus dem
Staub gemacht haben, während andere wegen Kleinstdelikten oder bloßer –
verständlicher – Empörung über die Aktion, verhaftet wurden. Auch überzeugen
die Ergebnisse der personell aufwändigen und störenden Razzia kaum. Festgestellt
wurden bei den 500 Kontrollen acht Verstöße gegen das Waffengesetz,
Aufenthaltsgesetz und Betäubungsmittelgesetz. Beim Waffenbesitz handelte es
sich um CS-Gas, bei den Drogenfunden um ziemlich kleine Mengen und mindere
Substanzen, wenn man bedenkt, was so alles hier konsumiert wird (siehe FAZ
Artikel). Und Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz sind erstens für
illegalisierte Migrant/innen nun mal nahezu nicht zu vermeiden und zweitens ein
typisches „victimless crime“, von dem niemand individuell betroffen ist.
Nun kann man sich natürlich darüber empören, dass man als
„unbescholtener Bürger“ von der Polizei behandelt wird wie ein/e Straftäter/in
(und das auch noch von „unsern“ Steuergeldern), während die wirkliche
gefährlichen Straftäter/innen weiter frei rumlaufen. Gewerbetreibende und
Interessenverbände haben sich bereits dementsprechend geäußert und wie immer
alles auf das Drogenmilieu geschoben. Die Drogenszene wird ja im
Bahnhofsviertel gerne für allerlei verantwortlich gemacht, weil kaum zu
erwarten ist, dass von dort mal jemand widersprechen wird. Wir möchten den
Blick auf etwas anderes lenken. Jede/r verhält sich manchmal illegal
(Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Falschparken, hier und da mal ein bisschen
illegale Drogen, im Park grillen, sich selbst vor übergriffen oder Kriminalität
schützen –wo die Polizei nicht zugegen ist – z.B. mit CS-Gas). Niemand will
deshalb permanent und allzu genau von staatlichen Behörden durchleuchtet
werden. Schon gar nicht im Bahnhofsviertel, wo Lebensqualität eben auch darin
besteht, mal die Musik etwas lauter aufzudrehen zu können und nicht schon im
zehn im Bett zu liegen, wenn die Polizei draußen das kriminelle „Gesindel“ abzuräumen
meint. Ein notorisch voreingenommener Blick aufs Viertel und seine vermeintlich
devianten Lebensweisen betrifft uns alle, weil wir – wie gesehen – allein durch
das hier Wohnen oder sich hier Aufhalten als potentiell gefährlich wahrgenommen
und behandelt werden. Im Bahnhofsviertel hat die Polizei nach § 18 HSOG
besondere Eingriffsbefugnisse, die für alle Orte, mit z.B. erhöhtem
Kriminalitätsaufkommen oder auch schlicht der (legalen oder illegalen) Ausübung
der Prostitution gelten. Sie kann unabhängig von einem konkreten Verdacht,
grundsätzlich, d.h. unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (doch diesen Begriff
scheint die Frankfurter Polizei sehr weit zu fassen), jeden Menschen, der sich
im Gebiet aufhält, einer Personenkontrolle und Durchsuchung unterziehen. An die
Kontrollen können sich dann auch Platzverweise und Aufenthaltsverbote
anschließen, zu deren Begründung es aus polizeilicher Sicht ausreicht, dass ein
Mensch z.B. als Drogenkonsument oder Prostituierte im Sperrgebiet bereits polizeilich
bekannt geworden ist. Betroffen sind also vor allem ohnehin gesellschaftlich
marginalisierte Gruppen. Oft erfolgen verdachtsunabhängige Kontrollen in
Deutschland nach Kritierien des racial profiling und betreffen somit
insbesondere Migrant/innen (vgl. http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=tz&dig=2010%2F08%2F07%2Fa0028&cHash=ca42d078f9).
Doch zugeleich stellt die rechtliche Befugnis und deren Nutzung durch die
Frankfurter Polizei das gesamte Viertel unter Generalverdacht. Dieser Blick
aufs Bahnhofsviertel als Milieu der Gefahr und Pathologie ist das Problem,
nicht die ach so schlimmen Zustände. Wenn die Anwohner/inneninitiative der
Aufrechten 84 „kriminelle Drogenmafia,
Dealerei, Drogensucht, Beschaffungskriminalität, Hauseinbrüche,
Prostitution, Obdachlosigkeit, und die Gefahr von übertragbaren Krankheiten“ (http://bahnhofsviertelfrankfurt.wordpress.com/)
in einen Topf wirft, dann zeigt das nicht nur eine stereotype und undifferenzierte
Wahrnehmung des Viertels, in dem sie leben, sondern kann auch als Drohung
gelesen werden: heute noch „gegen die Junkies“, morgen dann gegen Prostituierte
und Wohnungslose. Dieser Sichtweise und ihren Auswirkungen in Form einer kopflosen
law and order Politik – also z.B. die
polizeiliche Störaktion vom 23.08.2012 – werden wir weiterhin mit Skepsis und
Protest begegnen.